HALTUNG IN DER KOMMUNIKATION – WIE DIE DEUTSCHE BAHN AG MIT GUTEM BEISPIEL VORANGEHEN WILL

Im Rahmen des neuen Formats „Forum Marketing: Event & Medien“ (Forum: MEM) referierte Antje Neubauer, Leiterin des Ressorts Marketing & PR bei der Deutschen Bahn AG, am 17. Juli 2019 in der Media Lounge der HMKW Berlin zum Thema „Haltung in der Kommunikation“.

Antje Neubauer verantwortete seit Beginn des Jahres 2017 den Bereich Marketing & PR bei der Deutschen Bahn AG als eine der wenigen Frauen in einer führenden Position eines Großkonzerns. Nach 25 Jahren Tätigkeit in der Kommunikationsbranche erhielt Antje Neubauer bei den 16. PR Report Awards im November 2018 die Auszeichnung als „Kommunikatorin des Jahres“. Danach wurde zu Beginn des Jahres 2019 bekannt, dass sie nach mehr als 12 Jahren im Konzern die Deutsche Bahn verlassen und sich eine Auszeit nehmen möchte. Für Prof. Dr. Sören Bär, der an der HMKW Berlin Marketing und Eventmanagement lehrt, war dies Anlass genug, eine Einladung zum Vortrag auszusprechen, die Frau Neubauer dankenswerterweise annahm.

2017 entschied sich die Deutsche Bahn AG als eines der ersten großen Unternehmen in Deutschland für die strukturelle Zusammenführung der Abteilungen Marketing und PR. Unter der Leitung von Antje Neubauer entstand dadurch ein Team mit etwa 130 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, das für die Kreation, Konzipierung, strategische und operative Planung sowie Umsetzung von jährlich bis zu 150 Marketingkampagnen internationaler, nationaler und vorwiegend regionaler Ausrichtung verantwortlich zeichnet und die gesamte DB-Markenarchitektur betreut. Die Kommunikation der Deutschen Bahn soll die Imageattribute Stärke, Menschlichkeit und Zukunftsgestaltung transferieren – diesem Ziel folgen alle Marketingaktivitäten. Dabei lässt sich gut erkennen, wie die Kommunikationsinstrumente klassische Werbung, Public Relations, Sponsoring und Live-Kommunikation zusammenwirken. Die Corporate Identity der Deutschen Bahn wird sowohl über die klassischen Kanäle als auch über die Online-Medien und die sozialen Präsenzen sichtbar.

Es gelang Antje Neubauer sehr gut, die Herausforderungen und die Verantwortung der Kommunikationschefin eines Großkonzerns mit zahlreichen unterschiedlichen Anspruchsgruppen zu verdeutlichen. In Ihrem Vortrag präsentierte Antje Neubauer sehr gelungene Kampagnen, zeigte aber auch bei erfolgreichen Konzeptionen Verbesserungsmöglichkeiten auf und räumte ebenfalls ein, wenn eine Idee zwar eine hohe Originalität besaß, aber kaum bzw. zu wenig Marken- bzw. Imageaffinität zur DB aufwies. Sie ging en detail auf vier konkrete Case Studies ein.

 

(1) „Zeit für Gold“

Eine der erfolgreichsten Kommunikationskonzeptionen der Deutschen Bahn AG ist die aktuelle Kampagne „Zeit für Gold“. Damit begleitet die Deutsche Bahn ihre Kooperation mit dem Olympia Team Deutschland und vollzieht gleichzeitig ihren strategischen Paradigmenwechsel vom Hauptsponsor des Fußball-Bundesligisten Hertha BSC zum Förderer der deutschen Olympiateams mit zahlreichen unterschiedlichen Sportarten.  Am 29. Januar 2018 wurde kurz vor den Olympischen Winterspielen in PyeongChang auf dem Berliner Hauptbahnhof eine symbolträchtig mit Goldfolie überzogene Lokomotive auf die Reise geschickt: https://youtu.be/6FU_hv3m1Pw

Diese „goldene“ Lokomotive wird als Botschafter der Zusammenarbeit bis zu den Olympischen Spielen 2020 in der japanischen Hauptstadt Tokio unterwegs sein. Besonders populär wurde im Rahmen dieser Kampagne der mit Olympiasieger und Vierschanzentournee-Sieger Sven Hannawald als einem der beiden Protagonisten prominent besetzte korrespondierende Clip #ZeitFuerGold. Er entstand in Kooperation mit der BBDO Group Germany: https://youtu.be/a3fRtMrw-x4

(2) „Heute sind wir alle Dortmund“

Die beiden Ruhrpott-Fußballclubs Borussia Dortmund und Schalke 04 pflegen seit Jahrzehnten eine der brisantesten Rivalitäten im deutschen Fußball. Nachdem es im Jahr 2017 einen  Sprengstoffanschlag auf den Mannschaftsbus von Borussia Dortmund gegeben hatte, sah sich die Deutsche Bahn veranlasst, Haltung zu zeigen. In kürzester Zeit wurde gemeinsam mit der Agentur Ogilvy & Mather ein Werbespot entwickelt und gedreht, welcher der Leitidee „Heute sind wir alle Dortmund.“ folgte. Dafür wurde die Feindschaft der beiden Ruhrpott-Vereine thematisiert und darauf abgestellt, dass diese angesichts eines derart tragischen Ereignisses zumindest für einen Moment ruhen sollte.

Im Werbespot ist ein Schalke-Fan im ICE zu sehen, der während der Zugfahrt sinniert, dass er „schon Pickel bekommt, wenn er Schwarz-Gelb nur sieht“. Schließlich gelangt er jedoch zu der Erkenntnis, dass nach dem Anschlag einfach alle Menschen Dortmunder sein sollten. In ihrer Botschaft stellte die Deutsche Bahn AG die Verknüpfung zu dem bekannten BVB-Claim „Echte Liebe.“ her: „Mehr Echte Liebe Zeit.“

In diesem konkreten Fall ging die Initiative von der Agentur Ogilvy & Mather aus. Mit der Idee, Borussia Dortmund Respekt zu zollen und Solidarität zu bekunden, trat die renommierte Agentur an ihren Kunden Deutsche Bahn AG heran. Die DB sagte ungeachtet der Kurzfristigkeit und des hohen Aufwands zu. Die Idee des Spots überzeugte durch ihre hohe Passfähigkeit zur Toleranzkampagne #ToleranzZeit https://youtu.be/Z_xo1RasKH4 des Konzerns. Das gesamte Projekt wurde in nur sieben Stunden realisiert. Die Deutsche Bahn veröffentlichte den 45-sekündigen Clip am Abend des 12. April 2017 über Facebook, unmittelbar nachdem das Champions-League-Viertelfinalhinspiel zwischen Borussia Dortmund und dem AS Monaco angepfiffen worden war. Dadurch wurde eine besonders hohe Aufmerksamkeit und eine schnelle virale Verbreitung erreicht. Rückblickend war Antje Neubauer dennoch der Meinung, dass es trotz der Kurzfristigkeit besser gewesen wäre, den Fußballclub Borussia Dortmund in das Projekt zu integrieren. Angesichts des Erfolges der Kampagne ist dies als eine bemerkenswert kritische und objektive Haltung zu werten.

(3) „Außen schnell. Innen alles, was Du willst.“ 

Eine überaus kontroverse Debatte löste die auf Toleranz und Diversität orientierte Kampagne „Außen schnell. Innen alles, was Du willst.“https://youtu.be/LgNUFf_4V6A aus. Insbesondere an diesem Beispiel erläuterte Antje Neubauer eingehend das Erfordernis, Haltung in der Kommunikation zu zeigen und zu bewahren. Die Diskussion entzündete sich an der Tatsache, dass in dem Werbeclip und auf der Website der Deutschen Bahn fünf Personen mit Migrationshintergrund, darunter die Fernsehmoderatorin Nazan Eckes, der ehemalige Formel 1-Weltmeister Nico Rosberg und der Fernsehkoch Nelson Müller, zu sehen sind.

Einen unerwarteten Popularitätsschub erfuhr die Kampagne durch die vom Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer (Bündnis 90/Grüne) vorgetragene Kritik, der Clip und die Abbildung auf der DB-Website spiegelten nicht die deutsche Gesellschaft wider. Der Sturm der Entrüstung in den sozialen Medien führte zu der Bezeichnung #Palmergate für die Affäre, die sich zu einer echten Bewährungsprobe für die Deutsche Bahn entwickelte. https://youtu.be/NS4qbBDkmzI

(4) „Menschen verbinden“

Den Abschluss des Kampagnen-Kaleidoskops bildete der Rückblick auf eine Kuriosität. Am 02. Januar 2018 schaltete die Deutsche Bahn einen humorvollen Clip mit einer etwas bizarren Botschaft zum „Tag der Fruchtbarkeit“ am 08. Januar, der deshalb als fruchtbarster Tag des Jahres identifiziert wurde, weil laut Geburtenstatistik 40 Wochen später in Deutschland die meisten Kinder geboren werden.

Der 90-sekündige Kurzfilm lehnt sich dabei stark an den Kult-Klassiker „Was Sie schon immer über Sex wissen wollten, aber bisher nicht zu fragen wagten“ von Woody Allen an. Im Werbespot sind Männer in Spermien- und Frauen in Eizellenkostümen zu sehen. Diese werden von ihrem Trainer bzw. ihrer Trainerin in der Umkleidekabine motiviert: „Seid ihr Eizellen – oder Memmen?“ fragt die Eizellen-Trainerin, während der Spermien-Coach ebenfalls in typischer Fußball-Rhetorik verlangt: „Wir haben so lange auf diesen Tag gewartet. Jetzt geht da raus und macht das Ding rein.“

Am Ende des Clips ist ein junges Paar zu sehen, das sich auf dem Bahnhof begegnet und freudig umarmt. Nun wird die doppelbödige Werbebotschaft präsentiert: „An alle in Fernbeziehungen, Nahbeziehungen, Ab-und-zu-Beziehungen: Macht euch bereit und kommt mal wieder zusammen.“

https://www.heute.at/s/deutsche-bahn-wirbt-mit-eizellen-und-spermien-40393015

Die Deutsche Bahn will „Menschen verbinden“. Innerhalb weniger Stunden wurde der Clip via Facebook äußerst intensiv kommentiert und diskutiert. Dies war zweifellos vorherzusehen.

Antje Neubauer resümierte, dass der originelle Spot zwar hohe Aufmerksamkeitswerte und eine große Reichweite erreicht habe, aber inhaltlich kaum eine Affinität zur Marke Deutsche Bahn besäße. Sie räumte ein, dass die internen Abstimmungsprozesse nicht wunschgemäß verlaufen wären. Es zeugt zweifellos von Größe und Haltung, auch zu Fehlern in der Kommunikation zu stehen.

Bereits am Mittag des Folgetages wurde der Clip aus den sozialen Netzwerken gelöscht. Dies wurde mit den Einschränkungen im Bahnverkehr durch den Sturm „Burglind“ begründet. Der DB-Sprecher Achim Strauß äußerte: „So einen Clip zeigen wir nur, wenn alles rund läuft“. Es sollte also keine zusätzliche Angriffsfläche präsentiert werden.

Die anwesenden Studierenden konnten anhand der Ausführungen von Antje Neubauer auch Verbindungen zu den Inhalten ihrer Lehrveranstaltungen herstellen. Mit der Beantwortung einer Vielzahl von Fragen aus dem Auditorium nach Abschluss der Präsentation beendete Antje Neubauer den überaus spannenden und unterhaltsamen Nachmittag.

Antje Neubauer hat die Deutsche Bahn AG zum 30. September 2019 verlassen, „um sich Zeit zu schenken“. – Quelle: LinkedIn-Profil von Antje Neubauer – https://de.linkedin.com/in/antje-neubauer.