Video zur Podiumsdiskussion
Der Essener Fußballverein TC Freisenbruch 02 ist alles andere als ein normaler Kreisliga-Club. Wer schon immer einmal Fußball-Manager sein wollte und auch gern virtuell die einschlägigen Online-Games spielt, kann dies nämlich beim TC Freisenbruch in der realen Welt tun: Von der Festlegung der Mannschaftsaufstellung über die Verpflichtung von Trainer und Spielern bis hin zum Bratwurstpreis und zu den Finanzen wird alles von einer Online-Community an Fußballmanagern per Abstimmung entschieden. Not macht erfinderisch: Die Idee zu dieser gelebten Basisdemokratie und direkten Einflussnahme kam der Vereinsführung, als sich die Freisenbrucher in finanziellen Schwierigkeiten befanden. Für Aufsehen sorgt das Wirklichkeit gewordene Computerspiel in jedem Fall: Das in Deutschland einzigartige Konzept des TC Freisenbruch funktioniert und war deshalb u.a. schon Thema bei SpiegelOnline, in der ZDF-Sendung „Volle Kanne“, im „Kicker“ und in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“. Zudem besitzt der kleine Verein 5.780 Follower bei Facebook, belegt damit gegenwärtig Platz 106 in der Rangliste der deutschen Fußballclubs und befindet sich in sehr prominenter Gesellschaft. Der 1. FC Lokomotive Leipzig liegt in diesen Charts mit aktuell 33.132 Fans auf Position 54, der FC Schalke 04 mit 2.893.803 auf Rang 3. Angeführt wird das Facebook-Ranking vom FC Bayern München mit sagenhaften 44.212.801 virtuellen Anhängern. In Freisenbruch lebt man das Prinzip Amateurfußball. Mit dem Hashtag „#KreisligaIstSexy“ wird bewusst betont, dass Fußball auch in den unteren Spielklassen viel Spaß machen kann. Die Freisenbrucher Fußballmannschaft spielt dabei auf einem Hartplatz und zelebriert dies auch mit dem Namen der clubeigenen App: „Auf Asche“.
Zu seinem Neujahrsempfang hatte der TC Freisenbruch nun 150 Gäste in das im Jahre 1892 eröffnete renommierte Grillo Theater in der Essener Innenstadt eingeladen, darunter den Kult-Fußballer und Dancing-Star 2015 Hans Sarpei, das Aufsichtsratsmitglied des FC Schalke 04 Heiner Tümmers und Prof. Dr. Sören Bär von der Hochschule für Medien, Kommunikation und Wirtschaft Berlin, stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender des 1. FC Lokomotive Leipzig, sowie den Bundestagsabgeordneten Dirk Heidenblut und den Landtagsabgeordneten Frank Müller (beide SPD).
Hans Sarpei absolvierte als Fußballprofi über 300 Spiele für den FC Schalke 04, Bayer Leverkusen, den VfL Wolfsburg und Fortuna Köln, doch Kultstatus hat er vor allem gegen Ende und nach dem Abschluss seiner Laufbahn als Spieler erlangt. Als er zum FC Schalke 04 gewechselt war, begann in der Saison 2010/2011 in erster Linie auf Facebook ein an die so genannten “Chuck Norris Facts“ (Chuck Norris-Witze) angelehnter ironischer Social Media-Boom um seinen Namen, der bis heute anhält. A propos: „Wie viele Liegestütze schafft Hans Sarpei? – Richtig: „Alle!“ Oder: „Hans Sarpei kann seine eigenen Elfmeter halten.“ Und: „Hans Sarpei stärkt Abwehrkräfte.“
Er gilt als profunder Kenner des Amateurfußballs, denn seit 2013 trainiert Sarpei jährlich etwa zehn Amateurvereine aus den unteren Ligen jeweils für einige Tage. Die Sendung dazu heißt „Hans Sarpei – das T steht für Coach“ und läuft auf Sport1. Im Gespräch kokettierte er mit seinem 2015 errungenen Sieg in einer sehr bekannten Tanzshow auf RTL: „Die Frauen kennen mich von ‘Let’s Dance‘.“ Selbst darüber, wie man den „Todesschuss“ des niederländischen Bayern-Stars Arjen Robben verhindern kann, konnte Hans Sarpei Auskunft geben.
Heiner Tümmers ist Vertreter des Schalker Fanclub-Verbandes im Aufsichtsrat von Schalke 04 und sprach mit Janina Mockenhaupt über die Mitbestimmung und die Möglichkeiten der Einflussnahme der Fans beim FC Schalke 04. Er zeigte jedoch auch Für und Wider der Basisdemokratie an konkreten Beispielen auf: „Benedikt Höwedes würde noch auf Schalke spielen und wäre auch noch unser Kapitän, aber auf der anderen Seite hätten wir zum Beispiel Domenico Tedesco niemals als Trainer verpflichtet, wenn die Fans entscheiden würden“.
Bei der von Peter Schäfer kenntnisreich moderierten Podiumsdiskussion standen die Chancen des Amateurfußballs, mögliche Wege der Entwicklung zum Kultclub, Tradition im Fußball, die Markenpositionierung professioneller Fußballclubs, Social Media Marketing, Mitbestimmung und Schwarmintelligenz sowie das Moneyball-Prinzip im Fußball im Vordergrund. Peter Schäfer ist auch Trainer des TC Freisenbruch und lenkt gemeinsam Peter Wingen und Gerrit Kremer die Geschicke des Vereins in der Agentur „Doppelpass“.
Prof. Dr. Sören Bär erläuterte die von ihm wissenschaftlich geleitete Repositionierung der Marke 1. FC Lokomotive Leipzig mit der Markenidentität „Fußball pur.“ Er machte das Publikum mit der wechselhaften Historie des Leipziger Kultclubs sowie der speziellen Leipziger Fußballszene vertraut und erklärte den Gästen darüber hinaus, was „FANOKRATIE“ bedeutet und wie die aktuelle Mitgliederkampagne „Ich geh zu Lok!“ des größten Leipziger Fußballvereins funktioniert. Auch der Guinness-Buch-Rekord des 1. FC Lok mit 12.421 Zuschauern in der untersten Spielklasse – erzielt 2005 im Spiel des 1. FC Lokomotive Leipzig gegen Eintracht Großdeuben II in der 3. Kreisklasse – brachte die Anwesenden zum Staunen.
Hans Sarpei machte jedoch darauf aufmerksam, dass Tradition allein nicht reicht: „Im Amateurfußball fehlt oft das Geld, um attraktiv zu sein. Die Kinder wollen alle auf einem Kunstrasenplatz spielen. Wenn du nur einen Ascheplatz hast, dann überlegen sich die Kinder, ob sie zu dir kommen sollen.“
Einig waren sich Peter Schäfer, Hans Sarpei und Sören Bär darüber, dass der Erfolg des Clubs RB Leipzig nicht ausschließlich auf viel Geld basiert: „Ralf Rangnick ist mit seiner durchdachten Konzeption der Erfolgsgarant, das hat er nicht nur bei 1899 Hoffenheim und auf Schalke, sondern auch schon mit dem Bundesligaaufstieg des SSV 1846 Ulm bewiesen.“
Befragt zu den Social Media- und Online Marketing-Aktivitäten und zur Konzeption des TC Freisenbruch, bescheinigte Professor Bär dem Kreisligisten, „im Bereich Marketing bereits alles richtig zu machen“. Das Prinzip der oft richtigen Mehrheitsentscheidung der Essener führte er auf Schwarmintelligenz zurück und verglich es augenzwinkernd mit Fangesängen in den Stadien: „Im Chor klingt es immer gut, aber man möchte lieber keinen Fan einzeln singen hören.“
Der Abend klang bei einem Get-together mit vielen weiteren anregenden Gesprächen aus und wurde von allen Anwesenden als sehr positiv und angenehm empfunden.
Fotos: Petra Mittelstaedt Fotografie